Sägewerkskongress 2016: Industrie zwischen Wolke 4.0 und dem Boden der Tatsachen

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IHB MK
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Sägewerkskongress 2016Am 10. und 11. Februar fand in Würzburg der 11. Internationale Kongress der Sägeindustrie und der 3. Rohstoffgipfel statt. In bewährter Weise haben DeSH und AGR die Veranstaltung gemeinsam organisiert. In den zwei Tagen kamen 354 Besucher nach Würzburg, weniger als erwartet, aber mehr als zuletzt in Darmstadt und Mannheim. Auf 800 qm präsentierten 47 Aussteller ihre Produkte und Dienstleistungen. Erstmals fand die Abendveranstaltung inmitten der Ausstellung statt, was bei den Ausstellern gut ankam. Lediglich an Sitzgelegenheiten mangelte es außerhalb der Messestände.

Wie schon fast üblich, wurde das Fehlen vor allem kleinerer Sägewerke kritisch zur Kenntnis genommen. Möglicherweise lag das auch am Hauptthema „Industrie 4.0“, mit dem sich gerade kleine Firmen offenbar kaum identifizieren können. Umso wichtiger wäre ihre Teilnahme gewesen. Denn eines war zum Ende des Kongresses klar: Industrie 4.0 hat die intelligente Vernetzung von Maschinen und Firmen zum Ziel. Dieses Ziel ist noch weit entfernt. Aber wie jeder Weg beginnt auch dieser mit dem ersten Schritt, und der sieht für jedes Unternehmen je nach individueller Situation sehr unterschiedlich aus.

Vom Wald in die Cloud: die große Wolke Industrie 4.0

Volker SchiekDen Beginn machte Volker Schiek vom Landesnetzwerk Mechatronik Baden-Württemberg. Schiek warf die große Vision und das Potenzial von Industrie 4.0 an die Wand: die Wertschöpfungskette transparent machen, eine individualisierte Produktion, Entkoppelung des Wohlstands vom Ressourcenverbrauch. Ein solches Netzwerk soll den Menschen nicht ersetzten, sagt Schiek, sondern der informierte Mensch steht im Mittelpunkt. Als Beispiel nannte er den Taxiservice Uber. „Die haben in kein einziges Taxi investiert, sondern betreiben nur Matching.“ Über die Uber-Plattform werden Mitfahrgelegenheiten vermittelt. Die Daten von Fahrern und Personen, mitfahren möchten, werden intelligent vernetzt. Und genau da liegt für die Sägeindustrie der Hase im Pfeffer: „Alle Daten sind da, aber nicht da, wo sie sein müssen“, sagt Schiek. Es müsse eine Plattform geschaffen werden, in der alle Beteiligten vernetzt sind. Um das umzusetzen fehle es an IT-Spezialisten. Die Architekten eines solchen Systems müssen zudem aus der Holzbranche kommen. Zum Thema Datenschutz sagte Schiek abschließend, maximal 10% der Daten einer Firma seien sensibel. „Der Rest kann öffentlich genutzt werden.“

Wo steht die Sägeindustrie?

Ekkehard von BodelschwinghDr. Ekkehard von Bodelschwingh, Leiter Logistik bei Ilim Timber in Landsberg, stellte der Forst- und Sägebranche in Sachen intelligente Vernetzung ein schlechtes Zeugnis aus. „Ich habe den gleichen Vortrag vor zehn Jahren schon einmal gehalten“, sagte er. Die Branche stehe zwischen Datenflut und Zettelwirtschaft. Zwischen Forst und Säge gebe es praktisch keinen Austausch. Für die Holzabfuhr werden immer noch Lagepläne als Fax oder per PDF geschickt. Dabei bedürfe es nur weniger Daten, um zuverlässige Informationen für die Abfuhr bereitzustellen. Das sind Holzart, Volumen, Stückzahl, Sortiment und die Koordinaten. Dazu kommen Lieferant, Steuersatz und Bankverbindung. Diese Daten seien in der Software jedes Lieferanten vorhanden. Seit 2002 gibt es den Datenübertragungsstandard ELDAT. Inzwischen habe aber jeder seinen eigenen Standard. „Dann ist es kein Standard mehr“, sagt von Bodelschwingh. Denn die Umsetzung von Insellösungen mache die Datenübertragung unmöglich.

Diskussion SägewerkskongressAn der folgenden Diskussion nahmen neben Ekkehard von Bodelschwingh Christian Witte von der Firma Egger und Klaus Bockelmann vom gleichnamigen Holzhandelsunternehmen teil. Bockelmann konterte von Bodelschwinghs Vortrag mit den Worten: „Sie schicken mir ja auch ein Fax!“ Bodelschwingh erklärte, Ilim habe die vernetzte Datenkommunikation bisher zunächst in Landsberg eingeführt. Der Standort Wismar werde folgen. Bockelmann sieht weiter Vorbehalte in der Branche gegenüber der digitalen Technik hinsichtlich der Freiheit der Nutzer. „Die Menschen wollen nicht gern beobachtet werden“, sagte er. Die Diskussion über Datenaustausch werde nicht geführt. Christian Witte bestätigte die Aussagen von Bodelschwinghs. Die Daten seien oft mangelhaft, sagte Witte und wörtlich „der Standard ist schlecht.“ ELDAT werde in der Holzindustrie zu wenig genutzt. Konkret sagte Witte, die Daten im Wald seien oft mangelhaft erhoben. So gebe es oft keine polterscharfe Holzmenge, sondern nur eine vom Harvester erhobene Gesamtmenge für mehrere Polter. Einig waren sich die die Diskutanten, dass eine digitale Datenübertragung einen erheblichen wirtschaftlichen Nutzen hat. Zum einen vermeide man mehrfache Datenerhebungen, zu Deutsch:  Abtippen, und damit viel Zeit, zum anderen Fehler bei derselben, zu Deutsch: Vertippen.

Riesiges Potenzial zur Ablaufoptimierung, aber Mangel an Vertrauen

Dr. Carsten MerforthWo das Potenzial neuen Technologien, die unter dem Schlagwort „Industrie 4.0“ zusammengefasst werden, liegen wurde in späteren Vorträgen auf dem Sägewerkskongress deutlich. Dr. Carsten Merforth von der Unternehmensberatung Unique stellte anschaulich dar, dass es nicht nur die Zeitersparnis und Fehlervermeidung durch erspartes Abtippen ist. Vielmehr geht es um optimierte Lagerhaltung, durch das Wissen, was mein Kunde wann braucht. Darüber hinaus geht es um eine flexibilisierte und individualisierte Produktion bis hin zur Losgröße 1. Eine Musteranlage zu dem Thema war auf der LIGNA 2015 auf dem Stand der Firma HOMAG zu sehen. An der Schnittstelle Forst-Säge kann das heißen: automatisierte Bereitstellungsmeldungen für Rundholz mit automatischer Vergabe der Fuhraufträge. Dazu Echtzeit-Tracking der jeweiligen Lieferungen bis zur Abladung im Sägewerk. Martin Müller, Leiter der Logistik der Bayerischen Staatsforsten (BaySF) hat am Logistiksystem der BaySF gezeigt, wie intelligente Datenvernetzung schon heute funktioniert. Die BaySF legen in einer rollierenden Planung fest, welcher Holzpolter wann zu welchem Kunden geliefert wird. Zu diesem Zweck würde sich Müller wünschen, mehr über den jeweiligen Lagerstand der Kunden zu erfahren.

Aber genau an dieser Stelle fängt das System an zu knirschen: Viele Säger (wahrscheinlich alle) wollen ihren Lagerstand nicht kommunizieren, schon gar nicht Europas größtem Waldbesitzer. Allzu leicht könnte der auf die Idee kommen, im passenden Moment die Preise zu erhöhen, lautet die Argumentation.

Stefan MöhringerWas im weiteren Verlauf im Sägewerk möglich ist, zeigte Stefan Möhringer vom Anlagenbauer Simon Möhringer GmbH. Die von Möhringer entwickelte automatische Stapelanlage optimiert zunächst aufgrund der Brettformen die Anordnung der Bretter im Stapel. Darüber hinaus macht die Anlage Fotos und merkt sich, wo in welchem Stapel ein bestimmtes Brett liegt. Dazu kann er die passenden Bilder ansehen. Der Kunde erhält so noch vor Lieferung Informationen über die Abmessungen und die Qualität des Holzes und kann auf diese Weise bereits seine weitere Produktion planen.

Industrie 4.0 in kleinen Schritten angehen

Diskussion SägewerkskongressIn der Abschlussdiskussion konstatierte AGR-Präsident Leonhard Nossol, das Öffnen ihrer Daten falle vielen Firmen immer noch schwer. Ein Beispiel dafür ist der Rundholz-Lagerbestand der Sägewerke. DeSH-Präsident Carsten Doehring sieht viele sinnvolle Ansätze. Ein Patentrezept für das Thema Industrie 4.0 gebe es nicht. Jeder müsse sich selber fragen: „Was will ich erreichen?“ und das Thema in kleinen Schritten angehen. So habe es auch Ilim Timber gemacht und zunächst nur ein Werk datentechnisch auf den neuesten Stand gebracht. Auch das Thema der Insellösungen beim Datenaustausch, die auf dem Kongress häufig beklagt wurden, sieht Doehring pragmatisch: „Lieber auf einer Insel als unter Wasser.“ Ähnlich äußerte sich Stefan Möhringer: „Wo kann ich was umsetzen“, müsse sich jeder fragen. Jörg van der Heide von Hessen-Forst bot an in einem Kompetenzteam zur Schaffung und Optimierung von datenschnittstellen mitzuarbeiten.

Am Schluss des Sägewerkskongresses 2016 blieb die Erkenntnis, dass eine intelligente Vernetzung der in Hülle und Fülle vorhandenen Daten in Forstwirtschaft und Sägeindustrie ein gigantisches Optimierungspotenzial birgt. Woran es mangelt, ist das nötige Vertrauen der Partner Forst und Säge zueinander, dass die zur Verfügung gestellten Daten nicht missbraucht werden. Steffen Rathke, Sprecher der Plattform Forst und Holz, sagte deshalb abschließend, Forst und Säge müssen zusammenarbeiten. Carsten Doehring nannte dazu die beiden Arbeitsfelder, um die es geht: Datenschutz und Schnittstellen.

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